(9. Mai) Langsam aber doch mehren sich die Stimmen gegen das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP). Man hört von Genmais, Hormonfleisch, Chlorhühnchen und anderen, zumindest für europäische Geschmäcker, eher ungustiös anmutenden Lebensmittel die angeblich bald unsere Supermärkte überschwemmen werden. Des Weiteren sollen Internationale Schiedsgerichte Klagen von Konzernen gegen Staaten ermöglichen, wenn letztere Gesetze erlassen, die für die Unternehmen potentiell gewinnschmälernde Folgen haben könnten. Vor allem so genannte „nicht tarifäre Handelshemmnisse“ sollen durch das TTIP abgebaut werden. Damit werden im Allgemeinen Gesetze und Regulierungen verstanden die beispielsweise Arbeit, Soziales oder Umweltschutz betreffen. Also weniger Rechte für ArbeiterInnen und Angestellte, weiterer Abbau des Sozialstaats und Fracking vor der Haustüre im Austausch für … ja für was eigentlich? Ein Kommentar von Martin Lang.
Welche Vorteile darf sich die breite Bevölkerung durch das TTIP erwarten?
Um auf diese – für Viele sicherlich entscheidende – Frage eine passende Antwort parat zu haben, ließen sowohl die EU-Kommission als auch das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft zwei unterschiedliche Studien (CEPR und ifo-Institut) durchführen. Denn wenn wir schon genveränderte Nahrung und niedrigere Sozialstandards in Kauf nehmen sollen, dann erwarten wir uns doch wenigstens gewaltige Benefits in anderen Bereichen. Sonst würde doch niemand freiwillig einem derartigen Tausch zustimmen, oder?
Niedrigere Preise und mehr Arbeitsplätze!
So in etwa lauten die einhelligen Ergebnisse der beiden Studien. Klingt doch fast nach einem Heilsversprechen. Die seit Jahren andauernde Krise lässt Verbraucherpreise ebenso wie Arbeitslosenzahlen massiv steigen, und dann brauchen wir bloß den „Freihandel“ etwas ankurbeln und schon lösen sich die Probleme wie von selbst. Oder etwa nicht?
Was genau wird uns versprochen?
Die Studie des ifo-Instituts beispielsweise errechnet für ein Szenario in dem sowohl Zölle als auch die nicht-tarifären Handelshemmnisse „bedeutend gesenkt“ werden mit 25.000 Arbeitslosen weniger in Deutschland. Das ist zwar auf ein 82 Millionen Einwohnerland bezogen nicht sonderlich viel (in etwa 0,08%) aber immerhin Etwas. Diese Zahl muss man dann noch durch sieben dividieren, denn das ist der Zeitraum mit dem gerechnet wurde. (Man hat untersucht wie hoch die Arbeitslosenzahlen heute wären, hätte man TTIP schon 2007 gestartet). Bleibt also ein jährlicher Rückgang der Arbeitslosenzahlen von ca. 0,01% übrig. Die neu entstandenen Arbeitsplätze werden jedoch sehr ungleich verteilt sein.
Durch TTIP sollen – laut ifo-Studie – in knapp 4.600 Firmen neue Jobs entstehen. Im Gegenzug werden allerdings auch beinahe 20.000 Unternehmen schrumpfen, sprich Beschäftigte entlassen. Durch eine derartige Dynamik lässt sich eine noch weiter verstärkte Marktkonzentration ableiten, die oft in wettbewerbsverzerrenden Oligopolen endet. Die 3% der kleinsten Unternehmen verschwinden laut Studie sogar völlig, was allerdings von den Autoren damit begründet wird, dass die verwendeten Modelle nur für die größten 25% der Firmen anwendbar sind.
Interessant zu sehen wie die selbst ernannten Parteien der „Leistungsträger“ (etwa ÖVP, NEOS) den Freihandel forcieren, in dem Wissen, dass (neben den sowieso schon unter Druck stehenden „Geringqualifizierten“) vor allem selbstständige Klein – und Kleinstunternehmer – für viele die Leistungsträger per se – durch das TTIP Nachteile erleiden werden. So sieht etwa die NEOS-Spitzenkandidatin Mlinar das Abkommen als „einen der wichtigsten Schritte“ der nächsten Jahre. Wirtschaftsminister Mitterlehner von der ÖVP meint für ihn „überwiegt da das Positive“.
Also werden wenigstens die Preise fallen, oder?
Auch hier, beim zweiten Hauptargument der Befürworter, locken Politiker und Lobbyisten mit vielversprechenden Zahlen. 545 € soll sich ein Vier-Personen-Haushalt jährlich ersparen können. Diese Zahl gilt zwar laut der CEPR-Studie erst für das Jahr 2027. Aber macht immerhin knapp über 10€ Ersparnis im Monat für Jede und Jeden von uns. Allerdings sprechen wir hier vom „ambitioniertesten Szenario“. Dem liegt eine Zollsenkung von 98% und eine 25% bzw. 50%ige Senkung der nicht-tarifären Handelshemmnisse zu Grunde.
Wie man sieht, steckt hinter den Versprechungen wenig Gehaltvolles. Reine Zollsenkungen hätten quasi keinen Effekt, und selbst bei der Aufgabe zahlreicher Errungenschaften wie die eingangs erwähnten Sozial-, Verbraucher-, Umwelt-, Arbeits-, und Gesundheitsstandards profitiert die breite Masse der Bevölkerung kaum. Da die verwendeten Studien mit höchster wissenschaftlicher Präzision erstellt wurden, kann man sicher sein, dass wenigstens diese minimalen Vorteile auch bestimmt eintreten werden, oder?
Abgesehen davon, dass beide Studien auf den üblichen neoklassischen Fehlannahmen beruhen, und somit für Anwendungen in der realen Welt unbrauchbar sind, gibt es zahlreiche Kritikpunkte an der Methodik der Untersuchungen. Die Autoren der CEPR-Studie standen beispielsweise vor dem Problem wie man denn die nicht tarifären Handelshemmnisse in monetäre Werte umlegen soll. Dafür griffen sie einfach auf eine weitere Studie zurück in der verschiedene Unternehmer nach der subjektiv bewerteten Intensität von Hemmnissen (Skala von 0 – 100) in ihren Branchen gefragt wurden. Auf diesen Bewertungen basiert also beispielsweise der Wert von Kündigungsschutz.
Noch absurder ist die Tatsache, dass in dem Modell ein einziger Vier-Personen-Haushalt, stellvertretend für alle 800 Millionen Einwohner der Freihandelszone, vorkommt.
Das Beste zum Schluss. Sowohl die ifo-, als auch die CEPR-Studie weisen einen eklatanten Mangel auf: die Variable „Zeit“ fehlt, es handelt sich also schlicht und einfach um statische Modelle! Wie man dann auf das Referenzdatum 2027 kommt? Nun ja, hier wird einfach geraten. Die Autoren schätzen, dass sich zehn Jahre nach dem vermuteten Abschluss des Abkommens (2017) die „Kräfte des Freihandels“ entfalten werden. Oder auch nicht.