(29. März) Verfolgt man den Kufsteiner Vignettenstreit in den Medien und betrachtet man die Situation isoliert, so ist man sehr schnell geneigt zu dem Schluß zu kommen, dass in Österreich eben für Autobahnen eine Vignettenpflicht besteht und die Bewohner des Tiroler Unterlands auf die Barrikaden gehen, weil ihnen die liebgewordenen Extrawürste nicht mehr gebraten werden sollen. Ein Kommentar von Harald „VinPei“ Bauer, Kandidat von Europa Anders.
So in etwa muss man das wohl an den ministeriellen Schreibtischen in der Bundeshauptstadt sehen – oder? Die Sichtweise in den Tiroler Widerstandsnestern ist aber nicht weniger begrenzt. Dort begnügt man sich damit, auf die Beibehaltung des gewohnten Sonderstatus zu pochen, ohne auch nur einen Gedanken an den gesamteuropäischen Zusammenhang zu verschwenden.
Schauen wir uns doch einmal an, warum Staaten überhaupt auf die Idee kommen, Geld für die Benutzung von Autobahnen zu verlangen. Letztlich verhindern Autobahngebühren keinen Verkehr. Sie generieren lediglich Mautflüchtlinge und verlagern dadurch einen Teil des Verkehrs auf Nebenstrassen.
Staaten Verlangen deshalb Gebühren, weil der Bau und Unterhalt von Autobahnen teuer ist. Transitländer, wie Österreich, deren Bevölkerungen unter dem Verkehr leiden sind deshalb natürlich bestrebt diese Kosten nicht nur ihren eigenen Bürgern aufzubürden, sondern einen Teil der Belastungen auch von denen einzufordern, die diese Autobahnen benutzen.
Dies führt in der Folge zu Verwerfungen. LKW´s oder Touristen weichen auf Landstrassen aus, wenn es möglich ist – und die Bewohner der betroffenen Städte und Dörfer haben dann die Last zu tragen.
Letztlich sind Autobahngebühren aus gesamteuropäischer Sicht also nur eine Prothese, die sicherstellen soll, dass bestimmte Regionen einen Ausgleich für die in ihrem Bereich entstehenden Kosten der europäischen Verkehrswege erhalten. Die dann durch die Mautflucht entstehenden Verwerfungen ziehen aber wieder weitere Prothesen nach sich, um ein massenhaftes Ausweichen auf Landstrassen zu verhindern.
Um genau so eine Folgeprothese handelt es sich bei der Lösung, die Vigniettenkontrolle erst hinter Kufstein durchzuführen. Und solange man darauf verzichtet, den eigentlichen Problemen an die Wurzel zu gehen, ist es unverantwortlich dem Patieneten seine Prothesen wegzunehmen und ihn in der Gegend herumstolpern zu lassen – sprich, der Vignettenflucht freien Lauf zu lassen und zuzusehen, wie das Tiroler Unterland im Verkehr ersäuft.
Was aber wäre nun eine Lösung, die natürlich ist und keiner Prothesen bedarf?
Die Beantwortung dieser Frage fällt relativ leicht. Das gesamteuropäische Verkehrsnetz ist natürlicherweise eine gesamteuropäische Angelegenheit. Wenn Europa für den Unterhalt seines Verkehrsnetzes zuständig ist, wird keiner der Mitgliedsstaaten übervorteilt und alle ziehen gleichermassen den Nutzen daraus. Es wären keine nationalstaatlichen Autobahngebühren mehr notwendig und es gäbe auch keine Vignettenflucht mehr.
Das Entscheidende ist somit, wie bei so vielen aktuellen Fragen, die nationalstaatlichen Eigenbröteleien zu überwinden und die Aufgaben die Europa als gesamtes besser lösen kann, auch der europäischen Verantwortung zuzuordnen. Letztlich manifestiert sich im Vignettenstreit der halbherzige Europagedanke, der den ganzen Kontinent hemmt und auf der Stelle treten lässt.
Erst wenn wir über den eigenen Tellerrand hinaussehen und begreifen, dass Europa einer demokratischen Reform an Haupt und Gliedern bedarf; dass wir eine europäische Regierung brauchen, die eben für gesamteuropäische Verantwortlichkeiten zuständig ist, dann wird der derzeitige europäische Homunkulus selbständig laufen lernen und keine Prothesen mehr nötig haben. Bis dahin werden die Prothesendoktoren nicht arbeitslos.