Wir haben doch nichts zu verbergen – oder?

(11. April) Der Kontrollwahn der politischen Klasse in Europa nimmt immer bizarrere Formen an. Der Generalverdacht und das Mißtrauen gegen alle Bürger führt dazu, dass die Menschen in immer mehr Lebensbereichen der ständigen Überwachung ausgesetzt sind und ihre Privatsphäre bedroht ist – im Netz und auf der Strasse. So träumt z.B. der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) von einer flächendeckenden Videoüberwachung des öffentlichen Nahverkehrs in allen bayerischen Großstädten. Was die Begehrlichkeiten der Law and Order-Politiker angeht, sind im Bereich der Überwachung offenbar alle Dämme gebrochen. Ein Kommentar von Harald “VinPei” Bauer, Kandidat von Europa Anders.

Ich kann mich noch gut an die Zeit des Zusammenbruchs der DDR und das erste Ruchbarwerden der Stasimachenschaften erinnern – und über die Empörung westlicher Medien darüber, dass in Leipzig und anderen grösseren Städten der DDR auf öffentlichen Plätzen Kameras installiert waren, um die Bürger zu bespitzeln.

Gegen den heutigen ausufernden Überwachungsapparat, erscheinen diese Anfänge der Videoberwachung öffentlicher Räume in der DDR fast kläglich – und dennoch hält sich die Empörung in Grenzen – man hat ja schliesslich nichts zu verbergen und im Normalfall wird der „brave“ Bürger ja auch nicht in einem Büro der Dienste mit dem über ihn gesammelten Videomaterial konfrontiert, sofern er nicht zufällig mal zur falschen Zeit am falschen Ort sein sollte.

Wir haben es mit einer schleichenden Gewöhnung zu tun, die zunächst nicht weh tut – und auch wenn die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahmen höchst umstritten ist, so ist doch keiner böse, wenn Massenmörder, Kinderschänder, Terroristen und ähnliche finstere Gestalten damit besser in Schach gehalten werden.

Da übersieht man, dann schon eimal, dass der Anteil an wirklichen Schurken in der Bevölkerung vergleichsweise recht gering ist; dass man sie möglicherweise auch ohne die Überwachung jeder Einzelnen Sekretärin die in einem Videoüberwachten Bus zur Arbeit fährt, gefangen hätte – und, dass mitunter mit der Atombombe der Totalüberwachung auch auf Spatzen gezielt werden könnte.

Letztlich verhindert man durch Videoüberwachung keine Straftaten – bestenfalls verdrängt man sie in die Randgebiete der Städte oder in die Dörfer, wo die Aufrüstung des Überwachungsapparts noch nicht so weit fortgeschritten ist.

Generalverdacht, Mißtrauen und Kontrollwahn sind zum einen immer ein Zeichen von Schwäche – je restriktiver und martialischer sich ein Staat gebärdet, umso morscher ist das ihn tragende Gebälk. Auch dies ist eine Lehre, die ich aus dem Zusammenbruch der DDR gezogen habe. Sind die Staaten Europas, wirklich so fragil, dass sie auf dem Überwachungssektor derat aufrüsten müssen?

Zum anderen trägt eine ständig fortschreitender Umfang von Überwachungsmassnahmen den Keim der Diktatur in sich, denn es wäre Unsinnig nur Daten zu sammeln, ohne die Informationen auch zur Lenkung der Gesellschaft und Sanktionierung mißliebigen Verhaltens Einzelner einzusetzen.

Möge man uns heute noch hoch und heilig versichern, es geschähe alles zu unserer eigenen Sicherheit – um eben Terroristen zu fangen – ich bin überzeugt, die Gier nach unser aller Daten wird zunehmen – und der Wunsch der Behörden, sie auch noch für dieses und jenes zu verwenden, weil man sie schon mal hat und der Zweck doch so nützlich sei, wird stetig wachsen.

Wenn man sich überlegt, wo heute überall Kameras installiert sind oder installiert sein könnten, verschafft einem das nicht nur das beklemmende Gefühl , dass man seiner Privatsphäre beraubt wird – sondern es besteht auch die Gefahr, dass zumindest potenziell die Möglichgkeit besteht, über jeden Einzelnen Bewegungsprofile nach Lust und Laune anzulegen – und das ist der erste Schritt hin zu Orwell.

Das Wichtigste ist es, überhaupt erstmal Bewusstsein für die Problematik zu schaffen. Das Thema ist nämlich sehr abstrakt und ich habe den Eindruck, dass die wenigsten Menschen überhaupt begriffen haben, dass es sie betrifft. Das was für einen Piraten eine selbstverständliche Erkenntnis ist und worüber wir uns jeden Tag informieren, ist nämlich in der Allgemeinbevölkerung noch längst nicht angekommen. Seien wir uns doch einmal ehrlich – das Thema Videoüberwachung oder Datenschutz ist für breite Schichten der Bevölkerung kein Aufreger, sondern allenfalls ein Randthema.

Die Nuss, lässt sich sicher nicht mit theoretischen oder ideologischen Betrachtungen knacken. Zugang zu den Köpfen und Herzen der Menschen werden wir dann finden, wenn wir ihnen ganz konkrete Beispiele von ganz konkreten Menschen aufzeigen, die sich in ihrem Alltag unverschuldet im Netz des Fahndungsapparates verfangen haben und welche Konsequenzen dies für die Betroffenen hatte. Und es muss sich keineswegs immer zwangsläufig um so einen harmlosen Fall wie diesen handeln.