Wie die Krise die Menschen in Österreich trifft…

(27. März) Wenn man, wie ich, als Ausländer in Österreich lebt, hat man immer wieder den Eindruck, dieses Land ist irgendwie eine Insel der Seligen. Stimmt das? Ein Kommentar von Sebastian Reinfeldt, Kandidat von Europa Anders.

Da toben kriegerische Auseinandersetzungen in der Ferne oder in der Nähe des Landes, da wird Europa von der schwersten Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg heimgesucht. Und hier? Business as usual, alles geht scheinbar seinen gewohnten Gang in einer Gesellschaft, in der sich ein Teil ihrer Mitglieder über Seilschaften und privat-soziale Netzwerke abgesichert hat. Im Job, bei der Wohnungssuche, im gesamten Leben. Da kann man nicht wirklich tief fallen, wenn es mal kritisch wird. Da wird sich halt in einem Sabbatical neu “aufgestellt” und mit “neuem Elan” der Job gewechselt.

Krise? Ach geh! Die gibt es doch nur woanders. Jenseits der Alpen. Und ansonsten wird munter geraunzt, wie man das immer getan hat. Über die Regierung, über Brüssel, die faulen Arbeitslosen, die Ausländer (“aber meine polnische Putzfrau ist super”), den neuen Kollegen – ach, was auch immer.

Wie gesagt, scheinbar. Denn ein anderer Teil der Gesellschaft ist wirklich den Schwankungen des Lebens, der Politik und der Ökonomie ausgesetzt. Für Menschen, die nicht in einem solchen sozialen Netz hängen, hat das, was der Chef des AMS am Dienstag, 25.3. dieses Jahres formulierte, eine große Bedeutung: “Wir brauchen einen mehrjährigen Aufschwung, um die Werte vor der Wirtschaftskrise 2008/09 zu erreichen“. 2007 lag die Quote bei 6,2 Prozent. Diejenigen ohne Netz treffen die Folgen der Krise nämlich unmittelbarer, deshalb müssen sie sich ängstigen, wenn es heißt: Die nationale Arbeitslosenquote soll dieses Jahr laut einer aktuellen AMS-Prognose auf 8,1 Prozent steigen, nach 7,6 Prozent im Vorjahr, und 2015 bei 8,0 Prozent liegen. Nur im Jahr 1953 wurde in der Zweiten Republik mit 8,7 Prozent eine höhere Arbeitslosenrate verzeichnet.

Das sind 308.400 Personen, hinzu kommen rund 80.000 SchulungsteilnehmerInnen. Die Namen der Firmen, die in letzter Zeit in Insolvenz gegangen sind, gehen gerne vergessen: Cosmos (1160 MitarbeiterInnen), Alpine (9 von 10 hätten einen neuen Job gefunden, heißt es) Niedermeyer (280 MitarbeiterInnen arbeitslos), Schlecker/Dayli (3300 MitarbeiterInnen), jetzt DiTech (92 MitarbeiterInnen), hoffentlich nicht Baumax (4000 MitarbeiterInnen in Österreich) und viele andere.

Also: Es gibt Menschen in Österreich, die leben relativ krisenfest, und solche, die dieser voll ausgesetzt sind. Das lässt sich natürlich nicht mit den Verhältnissen in Südosteuropa vergleichen, wo, wie zum Beispiel in Griechenland, die Jugendarbeitslosigkeit bei 60 Prozent liegt und die Krankenversorgung in den Spitälern eingeschränkt werden muss. Oder in Spanien, wo die Menschen auf die Straße gehen, weil sie Hunger haben, sie demonstrieren für Brot und ein menschenwürdiges Leben. Und gegen ein korruptes politisches System.

Die Ursachen der Krise liegen unter anderem in einer Politik, die “Austeritätspolitik” genannt wird. Dieser zufolge wird auf die Krise mit einer Sparorgie der öffentlichen Haushalte geantwortet, weil exzessive Staatsausgaben als die Krisenursache ausgemacht worden sind. Das trifft den öffentlichen Dienst, alle öffentlichen Dienstleistungen, Sozialausgaben – alles das, was die Menschen in ihren elementaren Bedürfnissen und Grundrechten trifft. Ja. Grundrechten. Denn es geht dabei auch um Demokratie.

Die Austeritätspolitik hat mehrereFacetten, sie trifft aber immer in erster Linie die Armen, die sozial Schwachen – eben diejenigen, die nicht in einem der Netze sich bewegen, die das Leben absichern und angenehm werden lassen. Und deren öffentliche Stimmen leise und schwach sind. Diese Politik ist rein ideologisch, um das klar zu stellen. Denn in Wahrheit ist nicht die Verschuldung der öffentlichen Haushalte stark angestiegen, sondern die der privaten. Und eine Folge der Austeritätpolitik ist es, dass genau diese privaten Verschuldung weiter ansteigt.

 

Öffentliche (links) und private Verschuldung (rechte Grafik) in 17 Industrieländern von 1870 – 2011

Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bild-955318-662904.html

 Diese Austeritätspolitik wird in Europa von einigen Regierungen voran getrieben, darunter die deutsche, aber nicht nur diese. Bestimmte Institutionen wie der Internationale Währungsfonds, die Europäische Zentralbank und die Europäische Kommission verfolgen ebenso diese Politik. Die österreichische Regierung hat sich auch in dieser Frage einfach an den herrschenden Kurs angehängt und macht bei allem mit. Praktisch ohne Widerspruch.

Ich kandidiere für Europa anders als politisch engagierter Unabhängiger und als EU-Bürger, weil es europaweit eine starke Stimme gegen diesen Wahnsinn braucht.

Denn die Politik der EU und die österreichische Politik sind weitaus mehr verzahnt und voneinander abhängig, als man uns hier weißmachen möchte. Besonders bei Fragen, die weitaus wichtiger sind als die Gurkenkrümmungen oder ähnlichem Blödsinn.

Dr. Sebastian Reinfeldt, Politikwissenschaftler und Lehrer für Deutsch als Fremdsprache kandidiert als Unabhängiger für Europa anders.