Es bedarf einer grundsätzlichen Neuorientierung Europas

Die Initiative „Europa geht anders“  befragte Waltraud Fritz (Listenplatz Nummer 3 von EUROPA ANDERS) zu europapolitisch relevanten Themen. Nachfolgend die Antworten von Waltraud Fritz, die seit mehreren Jahren als Vertreterin der KPÖ im Vorstand der Europäischen Linkspartei tätig ist.

Wie stehen Sie zu den Forderungen von „Europa geht anders“?

Ich unterstütze die Forderungen sowie die gesamte Initiative. Sie ist ein wichtiger Teil der europaweiten Mobilisierung der Menschen für ein soziales Europa. Die wirtschaftspolitischen Forderungen von „Europa geht anders“ sprechen exakt jene Bereiche an, die geändert werden müssen, um die neoliberale und antisoziale Orientierung der EU umzukehren.

Was gedenken Sie gegen diese Instrumente zu unternehmen?

Zunächst einmal: Allein geht gar nichts – das gilt heute mehr denn je. Um jede einzelne Maßnahme dieser Austeritätspolitik zu verhindern bzw. ihre Zurücknahme zu erreichen, bedarf es großer sozialer Kämpfe. Innerhalb und außerhalb der Parlamente. Ohne Gewerkschaften, soziale Bewegungen und breite (Parteien)bündnisse wird es sehr schwer sein, diese geballte Macht zu durchbrechen. Aber es ist möglich. Das sehen wir in Griechenland. Dort konnte eine Linkspartei (SYRIZA), die in sich viele verschiedene Strömungen vereint, gestützt auf eine breite soziale, demokratische und ökologische Bewegung zur Herausforderin der herrschenden neoliberalen Koalition aufsteigen und ist bereit, die Regierungsmacht zu übernehmen. Wenn das eintritt, wird z.B. eine Linksregirung in Griechenland auch in Europa vieles bewegen.

Werden Sie sich – sollten Sie gewählt werden – als VertreterIn der Menschen in Europa gegen den Wettbewerbspakt einsetzen?

Ja.

Welche Maßnahmen planen Sie dazu?

Der Wettbewerbspakt soll letztendlich für alle EU Länder gelten, wird von der Kommission auch mit finanziellen Anreizen für die Länder bedacht und zeigt jetzt schon seine desaströsen Auswirkungen in den meisten Mitgliedsstaaten. Gerade ist in Österreich der 12 Stunden Tag wieder eingeführt worden – leider ohne größeren Widerstand der Gewerkschaften! Und da bin ich auch schon bei jener Organisation, die von ihrer Zielsetzung her dazu prädestiniert ist, die Kämpfe gegen den „Wettbewerbspakt“, der nichts anderes ist als ein Pakt zum Sozialdumping, anzuführen und zu koordinieren. In den letzten Jahren hat sich Gott sei Dank auf europäischer Ebene im EGB ein Wandel vollzogen. Er ist nun für die Zusammenarbeit mit linken politischen Organisationen und fortschrittlichen Sozialbewegungen offen, um gemeinsam für ein soziales Europa zu kämpfen. Als Abgeordnete im EU Parlament hat daher die Zusammenarbeit mit den genannten Organisationen und die Unterstützung ihrer Aktionen höchste Priorität.

Welche Meinung haben Sie von diesem Wettbewerbspakt?

Seit 2013 ist der sgn „Wettbewerbspakt“ auf der politischen Agenda, von der EU Kommission wurde aber schon früher mit seiner Entwicklung begonnen. „Businesseurope“, der europäische Unternehmerverband“ z.B. , hat von Anfang an diesem Pakt mitgearbeitet und die Inhalte diktiert. Der Wettbewerbspakt ist der Versuch mit dem sgn. europäischen Sozialmodell endgültig aufzuräumen – und zwar ganz im Sinne des Kapitals. Denn ob Rente mit 67, „Reform“ der Arbeitsschutzbestimmungen, Abbau regulärer Beschäftigungsverhältnisse, es geht um die erkämpften Rechte der ArbeiterInnen, die nun zur Disposition stehen. mit einem Wort es geht um die Durchsetzung eines marktradikalen Wirtschaftsmodells.

Welche Maßnahmen halten Sie auf europäischer Ebene für dringlich, um die Ursachen der Krise zu bekämpfen?

Um die Ursachen der Krise wirklich zu bekämpfen, bedarf es wohl einer grundsätzlichen Neuorientierung Europas. Jede Maßnahme bedeutet einen Bruch mit der bisherigen wirtschaftspolitischen Orientierung. Aber unmittelbare Maßnahmen sind möglich, zum Beispiel Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit, die mit nachhaltigen Investitionen zur strukturellen Verbesserung von Volkswirtschaften verknüpft werden. Die Aufhebung der diversen Fiskalpakte. Oder dass die Europäische Zentralbank direkt Staaten und nicht Banken finanziert. Eine radikale Veränderung des Steuersystems in Richtung Höherbesteuerung von Vermögen, Stopfen aller Schlupflöcher und Steueroasen! Die Finanztransaktionssteuer könnte endlich eingeführt werden. Ein Schuldenaudit ist notwendig ebenso wie ein Ausgleich budgetärer Ungleichheiten. Letztlich wird man darüber reden müssen, die Banken zumindest einer öffentlichen Kontrolle zu unterwerfen, wenn nicht überhaupt zu verstaatlichen.

Wo bedarf es der Kooperation zwischen der nationalen und der EU-Ebene?

Kooperation ist nötig und auch erwünscht. EU Maßnahmen müssen einerseits national umgesetzt werden ebenso wie über das Abtreten nationaler Kompetenzen an die EU – dort wo nur gemeinsam soziale und politische Veränderungen erreicht werden können – diskutiert werden sollte. Im Zentrum müssen allerdings immer die jeweiligen Parlamente als die Organe der gewählten VertreterInnen der BürgerInnen stehen.

Mit welchen politischen und rechtlichen Mitteln wollen Sie dagegen vorgehen?

Was Verstöße von Recht bzw. Umgehung von demokratischen Verfahren anbelangt, so kommt hier der Möglichkeit der Klage vor den nationalen obersten Gerichtshöfen bzw. vor dem Europäischen Gerichtshof große Bedeutung zu. Die HüterInnen des (europäischen) Rechts sollten ihrer Aufgabe auch nachkommen. Dort wo die europäischen Verträge selbst die Ursache der Entdemokratisierung sind (leider nur allzu häufig), müssen wir gemeinsam für deren Veränderung bzw. Aufhebung kämpfen. Dies ist eine langfristige Aufgabe. Unmittelbar ist vor allem Durchsetzung von größtmöglicher Transparenz nötig, damit klar ist, wer wo welche Entscheidungen trifft und woher der/diejenige die Legitimation hat. Informationsverbote über Verhandlungen bzw. Verpflichtung zu Vertraulichkeit, wie auf EU Ebene Gang und Gäbe, müssen (bis auf begründete Ausnahmen) in Informationspflicht umgewandelt werden.

Wie schätzen Sie die Kräfteverhältnisse ein?

Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse werden sicher nicht nur oder in erster Linie durch Wahlen bestimmt sondern auch von anderen Faktoren. Und tatsächlich stützen die in der EU gesteckten Rahmenbedingen m.E. die herrschenden Verhältnisse. Interessen transnationaler Konzerne und des Finanzkapitals, gerne verharmlosend als „wirtschaftliche Interessen“ bezeichnet, haben entweder direkt oder über das Lobbyistenunwesen übergroßen Einfluss in der EU aber natürlich auch in den einzelnen Nationalstaaten. Dieses für normale Menschen kaum undurchschaubare Geflecht von Ökonomie und ihr genehmer Politik – national und international verfilzt – scheint oft undurchdringlich und übermächtig. In der Tat: gegenwärtig – begünstigt durch die Krise – verändern sich die Kräfteverhältnisse sogar zugunsten des Kapitals und dessen Interessen. Diesen Prozess gilt es umzukehren.

Halten Sie es für notwendig, diese zu ändern?

Ja.

Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, reichen dazu parlamentarische Prozesse aus?

Parlamentarische Prozesse sind einerseits Widerspiegelung der politischen Kräfteverhälnisse in der Gesellschaft andererseits können sie gesellschaftliche Prozesse, initiieren, unterstützen oder auch be- und verhindern. In jedem Fall ist die Respektierung der Zusammensetzung von gewählten Gremien eine demokratische Selbstveständlichkeit. Um in der Gesellschaft tatsächlich etwas zu verändern, bedarf es der Zustimmung vieler Menschen, nicht nur durch Wahlen. Das trifft m. M. nach erst recht zu, um in der Gesellschaft grundsätzliche Änderungen der Orientierung zu erreichen. Wie z.B. von einer marktradikalen zu einer sozialen, ökologischen, demokratischen, feministischen etc. Orientierung. Dafür ist nicht nur die Zustimmung einer großen Mehrheit erforderlich, sondern darüber hinaus der persönliche, aktive Einsatz, auf unterschiedlichsten Gebieten und Aktivitäten vieler unterschiedlicher Menschen.

Wie schätzen Sie die Forderung nach einem Konvent zur Vertragsänderung ein, in der jede/r RegierungsschefIn ein Vetorecht hat?

Ein Konvent zur Änderung der Vertrags- und Regelwerke der EU macht nur dann Sinn, wenn in diesen Prozess alle Bevölkerungen in Europa einbezogen werden, nicht nur die Regierungen. Am Ende eines solchen gesamteuropäischen, nicht nur in national Zusammenhängen ablaufenden Diskussionsprozesses muss der so entstandene neue Entwurf einer demokratischen Entscheidung unterworfen werden. Selbstveständlich soll es Regeln zum Schutz von Minderheiten u.ä. geben, in einem automatischen Vetorecht für RegierungschefInnen sehe ich keinen Zugewinn an Demokratie.

Einige Initiativen fordern eine breite Demokratisierung, bzgl. Wirtschaft und einer Neugründung der EU. Wie stehen Sie dazu?

Ja, das sehe ich auch so.

Hier das Interview im Original