Die Politik ist nicht das mittlere Management transnationaler Unternehmen

Die Globalisierung wie wir sie heutzutage kennen ist rund 160 Jahre alt. Unterbrochen von Weltkriegen und vorangetrieben durch den Fall des Eisernen Vorhanges, ist der weltweite Handel in den letzten 20 Jahren geradezu explodiert: Rund ein Viertel aller Waren und Dienstleistungen werden bereits international gehandelt und rund 77.000 transnationale Unternehmen mit fast 750.000 ausländischen Tochterunternehmen organisieren diesen Handel.

Bereits im 19. Jahrhundert wurde der Großteil des Welthandels zwischen Europa und Amerika abgewickelt. An diesem Übergewicht hat sich bis heute im Wesentlichen nichts Gravierendes geändert. Die seit Juli vergangenen Jahres geführten Verhandlungen zwischen den USA und der EU über das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) und über die Transatlantische Freihandelszone (TAFTA) wirken dabei wie eine historisch erwachsene, logische Schlussfolgerung.

Globalisierung kann jedoch nur funktionieren, wenn eine demokratisch gewählte Politik einen nachhaltigen und sozialen Ordnungsrahmen schafft. Die Tendenz ist hingegen, dass Unternehmen zunehmend politische Regeln umgehen und die Politik ihre eigene Gestaltungshoheit zugunsten von transnationalen Unternehmen aufgibt. Sie degradiert sich selbst zum mittleren Management. Fragen der Nachhaltigkeit und der demokratischen Mitsprache bleiben dabei ebenso auf der Strecke wie soziale Standards. Die Gewinner sind ein Prozent der Bevölkerung, die restlichen 99 Prozent werden ignoriert. TTIP setzt diese Tendenz deutlich fort.

ISDS-Mechanismus: Unternehmen klagen Staaten bei Profitentgang

Etwa durch den Investor-State-Dispute-Settlement-Mechanismus, kurz ISDS. Dieser findet bereits in der nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) Anwendung und soll nun auch Bestandteil von TTIP werden. Im Zentrum stehen dreiköpfige Kammern unter der Aufsicht von Weltbank und UNO. Die Mitglieder stammen großteils von privaten Anwaltskanzleien, zumindest wurden 55 Prozent der bisher verhandelten ISDS-Verfahren (500 Verfahren gegen 95 Mitgliedstaaten) von Richtern verhandelt, die aus lediglich 15 Rechtsanwaltsbüros stammen.

Wenn diese Kammern befinden, dass bestimmte Maßnahmen der Politik die „erwarteten künftigen Profite“ eines Unternehmens schmälern, könnten sie staatliche Entschädigungszahlungen anordnen. Damit würden Rechte von Unternehmen höherwertiger eingeschätzt als die Souveränität von Staaten.

Die Grundlage möglicher Klagen betrifft die Rechtslage zum Zeitpunkt einer getätigten Investition. Diese darf danach nicht mehr geändert werden, zumindest nicht zum potentiellen Nachteil einer Investition. Eine Berufungsmöglichkeit existiert schlicht nicht. Die Verfahrenskosten tragen meist die Staaten, also die Steuerzahlenden, häufig auch im Falle einer abgewendeten Klage.

Bisher flossen mehr als 400 Millionen Dollar Steuergelder an Unternehmen, die gegen unterschiedliche Verbote klagten. Derzeit sind Klagen von Unternehmen mit einem Streitwert von 14 Milliarden Dollar anhängig, die sich z.B. auf Bestimmungen der Arzneimittelzulassung, auf die Haftung für Umweltschäden oder auf Klimaschutz- und Energiegesetze beziehen.

Kooperationsrat: Experten entscheiden, ob die Politik handeln darf

Darüber hinaus ist ein Regulatory Cooperation Council angedacht, der verschiedene Vertreter der jeweiligen Regulierungsbehörden vereinen soll. Die Beratungen dieses Gremiums finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, aber in konsultativer Zusammenarbeit mit Interessensvertretern fast ausschließlich aus der Industrie. Sollte ein Vertragspartner Regulierungen beabsichtigen, muss er diese an das Gremium vorab melden, das danach gemeinsam mit den Industrievertretern berät und eine rein finanzielle Kosten-Nutzen Analyse anfertigt.

Bevor in einem demokratischen Prozess ein Regulierungsvorhaben starten kann, muss das Vorhaben durch diese quasi Regulierungszensurstelle. Sollte sich die Industrie gegen eine Regulierung aussprechen, bleibt der demokratischen Politik aller Voraussicht nach zwar die Möglichkeit, diese Maßnahmen dennoch zu verabschieden, doch droht den Nationalstaaten sodann die Gefahr einer ISDS-Klage.

Welche Standards für unsere Gesellschaft?

Viele bedeutende gesellschaftliche Bereiche sind von dem Abkommen betroffen: Von der Wasserqualität, über den Einsatz chemischer und oder unzureichend geprüfter Substanzen bis hin zum Datenschutz, Arbeitnehmerrechten oder Umweltstandards.

Ein Beispiel Tierschutz: Die USA produzieren Eier fast ausschließlich in konventionellen „Batterie-Käfigen“, die in der EU bereits verboten wurden. Auch die Besatzdichte je Henne ist in Europa deutlich tierfreundlicher reguliert worden als in den USA. Was würde eine Freihandelszone für die Eierproduktion bedeuten? Würden die USA die hohen europäischen Standards für ihre Eierwirtschaft anwenden, oder eher den Wettbewerbsvorteil durch ihre günstigen Produktionsbedingungen nutzen? Erfahrungsgemäß wohl eher Zweiteres.

Gleiches gilt für Fleisch. Seit den 1980er und 1990er Jahren erhält eine Vielzahl von Fleischexporten aus den USA keine Zulassung mehr für den europäischen Markt, weil sie den Gesundheitsvorschriften der EU nicht Rechnung trägt. So wird in der Rindfleischindustrie der USA seit langer Zeit mit Hormonen und Antibiotika gearbeitet, um die Fleischproduktion „produktiver“ zu gestalten. Jedoch sind die Auswirkungen auf den menschlichen Organismus bis heute nicht ausreichend erforscht. Welcher Standard soll nun gelten?

Ähnlich wie bei Legebatterien oder der Fleischproduktion, gibt es in allen gesellschaftlichen Bereichen EU-Standards und Regeln, etwa beim Datenschutz oder Arbeitnehmerrechten, die über der US-Norm liegen. Bei Verhandlungen setzt sich nicht immer einer der Verhandlungspartner durch, sondern man gibt vor, sich in der Mitte treffen zu wollen oder im schlimmsten Fall einigt man sich auf die Interessen der transnationalen Unternehmen, die ohnehin den kompletten Entscheidungsprozess begleiten. Man kann es drehen und wenden wie man möchte, am Schluss wird es eher zu niedrigeren Standards kommen als zu höheren, das liegt wohl in der Natur von Freihandelsabkommen.

Nur die Politik kann einen gemeinwohlorientierten Ordnungsrahmen schaffen

TTIP wäre ein weiterer Schritt Richtung Aufgabe des Einflusses der demokratischen Entscheidungssphäre. TTIP wäre auf Dauer bindend und praktisch irreversibel, weil jede einzelne Bestimmung nur mit Zustimmung sämtlicher Unterzeichnerstaaten geändert werden könnte. Die Vertragsinhalte könnten somit durch demokratische Wahlen oder zivilgesellschaftlichen Protest in einzelnen Mitgliedstaaten nicht mehr angefochten werden.

Globalisierung darf nicht heißen, dass hohe Standards, die über Jahre hinweg erarbeitet wurden, zugunsten der Gewinne von transnationalen Unternehmen geopfert werden. Eine Politik, die jedoch ihren Handlungsspielraum aufgibt, übernimmt keine Verantwortung für Nachhaltigkeit und Gesellschaft. Sie gibt sich selbst auf und unterliegt dem Irrglauben, dass die Durchsetzung von Unternehmensinteressen eine gemeinwohlorientierte Politik ersetzen könnte.

Mehr dazu im dazugehöriger Redebeitrag von Martin Ehrenhauser im Parlamentsplenum

 

(Quelle: www.ehrenhauser.at)